ALPEN

Seit über fünfundzwanzig Jahren komme ich regelmäßig nach Südtirol und seit fünfzehn Jahren mache ich dort Dokumentarfilme. Ich bringe den Blick von außen mit und bin als Soziologe an Wandlungsprozessen interessiert, welche die Gemeinschaft/Gesellschaft tangieren. Deshalb lag mein filmisches Augenmerk bisher auf der Erderwärmung (über Permafrost-Tau, Wasserstress, Eiskernbohrungen auf dem Ortler) und den besonderen Bedingungen der Berglandwirtschaft (Das Comeback des Grauviehs). 

Das Comeback des Grauviehs

Die alte Rinder-Rasse des tiroler Grauviehs wäre fast ausgestorben, hätte es nicht Bergbauern gegeben, die über Jahrzehnte hinweg an ihr festgehalten haben. Mittlerweile kann man von einem regelrechten Comeback sprechen. 
Im Frühjahr 2013 hat sich beispielsweise im Südtiroler Villnöß Tal eine Initiative zur Wiederbelebung der alten Grauviehrasse gebildet. In Zusammenarbeit mit dem südtiroler Rinderzuchtverband schlossen sich 12 Bauern aus dem Tal zu einem Verein zusammen. Man beschloss, ein Experiment zu wagen: auf dem Gebiet der Alm vom Woerndle Loch wurden Rinder und zwei junge Ochsen bestossen, d.h. geweidet. Ziel ist, hochwertiges Rind- und Kalbfleisch zu produzieren. 

Aber es geht nicht nur um wirtschaftliche Aspekte, sondern auch um die Erhaltung einer der ältesten Rinder-Rassen des Alpenraums. Dazu bedarf es wie so oft eines besonderen Menschenschlags, der eher in kleinstrukturierten Bauernhöfen anzutreffen ist. Dort findet, nicht nur in Südtirol und dem Alpenbogen, sondern weit darüber hinaus eine Wiederbelebung des widerstandsfähigen und bestens an die Bedingungen des Hochgebirges angepassten Grauviehs statt. 

Zum Film: RAI Südtirol

Eis lesen

Anfang Oktober 2011 war ich zu Dreharbeiten in Südtirol. Es ging um die Entnahme von Eisbohrkernen auf der Gletscherkuppe des Ortlers durch ein italienisch-amerikanisches Team. Dessen Chef war ein weltbekannter Glaziologe, der bereits auf allen Kontinenten Eis-Proben entnommen und als Klimaarchive der Erdgeschichte analysiert hatte. Bei der Verladung seiner 6 Tonnen schweren Ausrüstung kamen wir ins Gespräch. 

Es ging um die Frage, welche grundlegenden Schlüsse er aus seinen 40 Jahren der weltweiten Klima-Forschungen gezogen hat. Er gab mir ein längeres Interview und sagte unter anderem: 

„Ich denke, der Ortler ist unter den Gletschern der Alpen und auch weltweit ein Zeuge des Wandels, der gerade stattfindet. Alle Gletscher sind gleichzeitig auch Opfer des Wandels, weil sie tatsächlich verschwinden.
Was ihr hier wirklich seht, ist ein Wasserturm. Es ist ein gefrorener Wasserturm und wenn der schmilzt, hat man überdurchschnittlich viel Wasser und Geröll in den Flüssen – weil man eine Art Konto plündert. Es ist ein Konto, das über Jahrtausende angespart wurde, aber letztlich, versteht ihr, wenn man immer nur von einem Konto abhebt, dann wissen wir ja, was passiert. Unglücklicherweise passiert genau dies gerade mit den meisten Gletschern auf unserem Planeten.“ 

Zum Film: RAI Südtirol ca. 18 Min

Wasserstress

Die Klimaerwärmung lässt sich nicht leugnen, die Gletscher schmelzen ab, Stein- schlag aus den freigesetzten Felswänden färbt die Gletscheroberfläche dunkel. Die Zustiege zu Berggipfeln und Schutzhütten müssen immer wieder neu angelegt werden. Das Hochgebirge und das „ewige“ Eis sind im stetigen Wandel. 


Quellwasser gilt als das Reinste überhaupt. Man möchte sofort davon trinken und denkt nicht an Gefahren. Dass hier im Hochgebirge eine hohe Schwermetallbelastung vorliegen kann, mag man kaum glauben. Leider ist genau das der Fall. Wasser aus Permafrost-Bereichen ist nicht überall zum Trinken geeignet. 


Im August 2005 ergab eine Wasserprobe aus abschmelzendem Permafrost am Becherhaus in Südtirol (3000m) hohe Gehalte an Mangan, Nickel und Zink. Die zuständige Behörde, der Sanitätsbetrieb Brixen, wollte den Hintergrund abklären, – da hat es bei einem Geologen Klick gemacht. Genau hier wurde ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der unseren Blick auf die Alpen wieder einmal grundlegend ändern dürfte. 

Zum Film: RAI Südtirol ca. 18:30 min.

Permafrost

Während man Gletscherzungen beobachten kann, gelingt dies im Untergrund nicht. Der Boden der Alpen enthält Eis und dieses schmilzt. Alles gerät in Bewegung. Welche Auswirkungen das hat, wissen wir noch nicht. Deshalb wird es erforscht. Mittlerweile ist die Forscherelite Europas dabei, die Geologie des Alpenbogens buchstäblich umzukrempeln. Ohne an der Postkarten-Idylle der allseits beliebten Alpenlandschaft haften zu bleiben, begleiten wir mit der Kamera die Geologen bei ihrer kräftezehrenden und teilweise riskanten Feldforschung. Totalen der mächtigen und emblematischen Berglandschaften, Interviews an interessanten Schauplätzen und Begegnungen mit Anwohnern zeigen die Ambivalenz, in dieser jahrhundertealten Kultur zu überleben. 


Vom Spätsommer 2009 bis zum Hochsommer 2011 haben wir mit Geologen, Hirten, Politikern, Skiliftbetreibern, Professoren und Technikern zusammen die Erforschung des Permafrostes gedreht. Unsere Ausgangsfrage lautete: „Was passiert gerade in den Alpen und welche Prozesse spielen sich im Untergrund ab?“ Alle, die gern im Hochgebirge sind, müssen sich fragen, wie das alltägliche Leben der Bewohner künftig von neuen Naturgefahren beeinflusst wird. 

Zum Film: RAI Südtirol ca. 45 min.